Abstraktionsprinzip
Du willst wissen, was das Abstraktionsprinzip ist und was es mit dem Kaufvertrag zu tun hat? Dann schau dir diesen Artikel und unser Video an!
Inhaltsübersicht
Abstraktionsprinzip einfach erklärt
Das Abstraktionsprinzip sagt, dass bei einem Geschäft (z. B. Kauf eines Autos) das Verfügungsgeschäft (Übergabe des Geldes und des Autos) auch wirksam ist, wenn das Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) nicht wirksam ist — und umgekehrt.
Beispiel: Du gehst in einen Fahrradladen und einigst dich mit dem Verkäufer, dass du ein Mountainbike für 500 € kaufen willst (→ Verpflichtungsgeschäft). Er gibt dir das Mountainbike (→ 1. Verfügungsgeschäft) und du gibst ihm 500 € (→ 2. Verfügungsgeschäft). Wenn dir im Nachhinein auffällt, dass der Kaufvertrag unwirksam ist (z. B. wegen eines Tippfehlers), dann sind die Verfügungsgeschäfte trotzdem wirksam.
Das Abstraktionsprinzip erweitert das sogenannte Trennungsprinzip. Das legt fest, dass bei Geschäften das Verpflichtungsgeschäft und das Verfügungsgeschäft grundsätzlich rechtlich unabhängig voneinander sind.
Das Trennungsprinzip legt fest, dass ein Verpflichtungsgeschäft und ein Verfügungsgeschäft grundsätzlich rechtlich unabhängig voneinander sind.
Das Abstraktionsprinzip stellt eine Erweiterung des Trennungsprinzips dar. Es besagt, dass ein Verfügungsgeschäft grundsätzlich wirksam ist, selbst wenn das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist und umgekehrt. Das dient der Sicherheit im Rechtsverkehr.
Abstraktionsprinzip Folgen
Schau dir die Folgen des Abstraktionsprinzips an einem Alltagsbeispiel an: Der 6-jährige Luis kauft sich ein Spielzeug-Auto.
Rechtlich kannst du dir das so vorstellen:
Verpflichtungsgeschäft | Luis geht zur Kasse und will das Spielzeug-Auto kaufen. Der Verkäufer ist damit einverstanden (Kaufvertrag, § 433 BGB). Der Kaufvertrag muss dabei natürlich nicht schriftlich erfolgen! |
1. Verfügungsgeschäft | Luis übergibt dem Verkäufer das Geld. |
2. Verfügungsgeschäft | Der Verkäufer übergibt Luis das Spielzeug-Auto. |
Das Rechtsgeschäft ist damit abgeschlossen, doch ist es laut dem Abstraktionsprinzip des BGB auch wirksam? Dafür musst du dir einzelnen Geschäfte getrennt betrachten:
Verpflichtungsgeschäft | Nicht wirksam. Luis ist noch keine 7 Jahre alt und deshalb geschäftsunfähig (§ 104 BGB). Er kann keine wirksamen Verträge abschließen. |
1. Verfügungsgeschäft | Nicht wirksam. Wegen des Abstraktionsprinzips könnte dieses Geschäft wirksam sein, obwohl das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist. Hier ist es aber aus einem anderen Grund nicht wirksam: Es ist zu Luis‘ Nachteil (er verliert Geld) — und Geschäfte zum Nachteil von nicht geschäftsfähigen Personen sind in der Regel unwirksam (§ 107 BGB). |
2. Verfügungsgeschäft | Wirksam. Dieses Geschäft ist nicht zu Luis‘ Nachteil. Wegen des Abstraktionsprinzips ist es deshalb wirksam. |
Darf Luis das Auto deshalb behalten? Nein. Das Verfügungsgeschäft wird dann nämlich rückgängig gemacht, weil das Verpflichtungsgeschäft unwirksam war. Du sprichst hier von einer Rückabwicklung (§§ 812 ff. BGB). Am Ende wird das Verfügungsgeschäft also rückgängig gemacht, obwohl es laut Abstraktionsprinzip zunächst einmal wirksam ist — die Gültigkeit ist hier also eher auf einer juristischen Ebene relevant.
Übrigens: Das Abstraktionsprinzip gilt nicht nur bei Kaufverträgen, sondern auch bei Mietverträgen, Darlehensverträgen oder Schenkungen. Genaueres zu verschiedenen Vertragsarten erfährst du hier !
Abstraktionsprinzip Ausnahmen
Das Abstraktionsprinzip gilt nicht immer. Es gibt nämlich einige Gründe für die Durchbrechung des Abstraktionsprinzips:
- Vereinbarungen der Beteiligten: Die Beteiligten können in ihrem Vertrag (z. B. im Kaufvertrag) festlegen, dass das Verfügungsgeschäft (z. B. Übergabe von Geld und Ware) nur dann gültig sein soll, wenn auch das Verpflichtungsgeschäft (z. B. der Kaufvertrag selbst) gültig ist (Bedingungszusammenhang, § 158 BGB).
- Fehleridentität: Du sprichst von Fehleridentität, wenn beim Verpflichtungsgeschäft und beim Verfügungsgeschäft der gleiche Fehler auftritt und dadurch beide Geschäfte gleichzeitig unwirksam werden.
Beispiel für Fehleridentität: Du bietest im Internet deinen Laptop zum Verkauf an und möchtest 500 € dafür haben. Ein möglicher Käufer lügt dich bewusst an und behauptet, dein Laptop sei so alt, dass es schon bald keine notwendigen Updates dafür gäbe. Er sagt dir, du könntest froh sein, wenn er ihn dir für 150 € abkauft. Du glaubst ihm, willigst ein und verkaufst ihm den Laptop für 150 €.
Du hast deinen Vertrag also nur abgeschlossen (Verpflichtungsgeschäft), weil du getäuscht wurdest. Außerdem hast du den Laptop nur übergeben und das Geld angenommen (Verpflichtungsgeschäfte), weil du der Täuschung geglaubt hast. Sowohl beim Verpflichtungsgeschäft als auch beim Verfügungsgeschäft lag also der gleiche Fehler vor, nämlich die Täuschung. Beide Geschäfte sind deshalb nach einer Anfechtung
nichtig.
Abstraktionsprinzip Vor- und Nachteile
Das Abstraktionsprinzip des BGB hat vor allem den Vorteil, dass es dir Rechtssicherheit verschafft. Schau dir das an einem Beispiel an:
Deine Freundin kauft bei einem Gebrauchtwagenhändler ein Auto für 5.000 €. Du findest das Auto so toll, dass du ihr anbietest, es für 6.000 € abzukaufen. Sie willigt ein und verkauft dir den Wagen. Im Nachhinein stellt der Gebrauchtwagenhändler fest, dass er im Vertrag einen Schreibfehler gemacht hat und der Kaufvertrag deshalb nicht wirksam ist.
Wegen des Abstraktionsprinzips ist aber die Übergabe des Autos an deine Freundin trotzdem wirksam. Sie konnte es dir also rechtmäßig weiterverkaufen und du brauchst dir keine Gedanken darüber machen, ob der Kaufvertrag deiner Freundin mit dem Händler wirksam war.
Das Abstraktionsprinzip hat aber auch Nachteile. Verpflichtungsgeschäft und Verfügungsgeschäft finden nämlich im Alltag meistens direkt hintereinander oder sogar gleichzeitig statt. Sie getrennt zu betrachten, ist also meist unnötig kompliziert.
Schon gewusst? Das Abstraktionsprinzip des BGB gibt es so in anderen Ländern nicht. Es ist eine Besonderheit des Deutschen Rechts.
Wie kommt ein Kaufvertrag zustande?
Du hast gesehen, dass du bei einem Kaufvertrag zwischen Verpflichtungsgeschäften und Verfügungsgeschäften unterscheiden musst. Aber wie kommt ein Kaufvertrag eigentlich genau zustande? Das erfährst du in unserem Video