Verhältnismäßigkeit
Du willst wissen, was du unter der Verhältnismäßigkeit verstehst? Hier im Artikel und im Video erklären wir dir den juristischen Begriff mit vielen Beispielen!
Inhaltsübersicht
Verhältnismäßigkeit einfach erklärt
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (oder auch Verhältnismäßigkeitsprinzip) ist eines der Merkmale des deutschen Rechtsstaates. Sie ist dazu da, die Bürger vor übermäßigen Eingriffen des Staates in ihre Grundrechte zu schützen (Art. 1 GG und Art. 20 GG). Du nennst den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deshalb auch „Übermaßverbot“. Der Staat soll also nicht härter durchgreifen als nötig.
Ein Beispiel für eine unverhältnismäßige Maßnahme des Staates wäre ein Leinenzwang für Hunde, der ausnahmslos überall gilt und bei dem Verstöße zu sehr hohen Geldstrafen führen.
Damit eine staatliche Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, als verhältnismäßig gilt, muss sie einen legitimen Zweck verfolgen. Außerdem muss sie geeignet, erforderlich und angemessen sein. Ist eine der Voraussetzungen nicht erfüllt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Die Maßnahme ist dann rechtswidrig und kann angefochten werden.
Super! Jetzt kennst du die Definition von Verhältnismäßigkeit! Schau dir als Nächstes genauer an, wozu es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gibt und wann er gültig ist.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — Hintergrund und Gültigkeit
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ein (ungeschriebener) Teil des Rechtsstaatsprinzips. Er soll sicherstellen, dass der Staat Maßnahmen, die in die Grundrechte der Bürger eingreifen, schonend und nur bei wirklicher Dringlichkeit anwendet.
Insbesondere schützt das Verhältnismäßigkeitsprinzip die sogenannte „Allgemeine Handlungsfreiheit“ jedes Menschen (Art. 2 Abs. 1 GG) — also dass jeder Mensch tun kann, was er möchte, solange er damit nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen das Gesetz verstößt.
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit gilt für alle Anordnungen, die der Staat von oben herab beschließt (sogenannte Hoheitsakte). Das bedeutet, dass alle Gesetze, Verwaltungsakte , Satzungen, Verordnungen oder gerichtlichen Entscheidungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen müssen.
Verhältnismäßigkeitsprüfung — Kriterien
Um festzustellen, ob eine staatliche Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfüllt, musst du vier Kriterien prüfen. Eine Maßnahme gilt dabei als verhältnismäßig, wenn sie 1. einen legitimen Zweck hat, 2. geeignet, 3. erforderlich und 4. angemessen ist.
Legitimer Zweck
Der Zweck einer staatlichen Maßnahme ist legitim, wenn er dem Wohl der Allgemeinheit dient oder wenn es für den Zweck einen staatlichen Schutzauftrag gibt.
Beispiel: Der Staat möchte mit einer Maßnahme die Steuerkriminalität bekämpfen. Weil die Steuergelder allen Bürgern zugute kommen und somit das Wohl der Allgemeinheit gesteigert wird, ist der Zweck der Maßnahme legitim.
Neben dem angestrebten Zweck muss auch das gewählte Mittel legitim sein. Illegitime Mittel sind zum Beispiel Zensur oder die Todesstrafe.
Beispiel: Der Staat beschließt, Steuersünder künftig zu steinigen, um die Steuerkriminalität zu senken. Der Zweck (= Bekämpfung der Steuerkriminalität) wäre in dem Fall legitim. Das Mittel (= Todesstrafe) wäre jedoch illegitim.
Geeignetheit
Eine staatliche Maßnahme gilt als geeignet, wenn sie das Erreichen des verfolgten Zwecks bewirkt oder zumindest fördert. Um zu beurteilen, ob eine Maßnahme geeignet ist, schaut man sich immer den Zeitpunkt an, zu dem sie eingeführt wird. Stellt sich die Maßnahme nachträglich als ungeeignet heraus, kann es sein, dass der Staat nachbessern muss.
Beispiel: Der Staat versucht, dem illegalen Drogenhandel entgegenzuwirken, indem bestimmte Menschen unter ärztlicher Aufsicht Drogen bekommen. Zum Zeitpunkt des Erlassens scheint diese Maßnahme geeignet, um den illegalen Drogenhandel einzudämmen. Stellt sich jedoch nach einiger Zeit heraus, dass die Maßnahme den Drogenkonsum noch weiter fördert und den illegalen Drogenhandel nicht eindämmt, so muss der Staat eventuell das Gesetz nachbessern.
Erforderlichkeit
Eine Maßnahme gilt als erforderlich, wenn es keine mildere, also weniger belastende Maßnahme gibt, die denselben Erfolg mit gleicher Sicherheit erzielt.
Beispiel: Die Stadt Köln möchte die Verletzungsgefahr durch herumliegende Glasflaschen nach den Karnevalstagen senken. Dafür will sie den Getränkekonsum auf den Straßen verbieten. Eine mildere Maßnahme, die die Verletzungsgefahr in gleichem Maße verringert, wäre jedoch, den Getränkekonsum nur in Pappbechern zu erlauben. Die erste Maßnahme ist also nicht erforderlich.
Angemessenheit
Eine Maßnahme gilt als angemessen, wenn der beabsichtigte Zweck die Schwere des Eingriffs rechtfertigt. Um die Angemessenheit einer Maßnahme zu prüfen, musst du also die Schwere des Eingriffs und den Nutzen des verfolgten Zwecks gegeneinander abwägen.
Beispiel: Wenn der Staat eine Bombe entschärfen muss, um das Leben der Anwohner zu schützen (= enormer Nutzen), dann kann er die Anwohner dazu zwingen, ihre Häuser zu verlassen (= schwerer Eingriff). Die Maßnahme ist in dem Fall angemessen. Möchte der Staat hingegen, dass die Anwohner mehr an die frische Luft gehen, so kann er sie nicht einfach zwingen, für einen bestimmten Zeitraum ihre Häuser zu verlassen. Die Schwere des Eingriffs (= „Rausgehzwang“) steht hier nicht im Verhältnis zum Nutzen der Maßnahme (= Anwohner gehen mal an die frische Luft). Die Maßnahme ist in diesem Fall also unangemessen.
Übrigens: Du sprichst bei der Angemessenheit auch von der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die anderen drei Kriterien (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit) entsprechen zusammen der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne.
Anfechtbarkeit
Prima! Jetzt kennst du dich bestens mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus. Ist eine staatliche Maßnahme unverhältnismäßig, so ist sie rechtswidrig und kann angefochten werden. Doch was genau verstehst du eigentlich unter Anfechtbarkeit? Das erfährst du in unserem Video !