Ermessensfehler
Du möchtest wissen, was ein Ermessensfehler ist? In unserem Beitrag und im Video erklären wir dir, wann ein Ermessensfehler entsteht und welche Konsequenzen er hat.
Inhaltsübersicht
Ermessensfehler — Definition
Ermessen ist die Freiheit, die Behörden bei ihren Entscheidungen haben. Das bedeutet, sie sind nicht an gesetzliche Vorschriften gebunden und können in einem gewissem Rahmen frei entscheiden. Diese Befugnis wird vor allem im Verwaltungsrecht und im öffentlichen Recht eingesetzt. Wie viel Ermessensfreiheit eine Behörde hat, geht aus Verordnungen und Gesetzen hervor. Sie legen also die Rahmenbedingungen fest.
Übt eine Behörde ihr Ermessen nicht richtig aus oder überschreitet es, liegt ein Ermessensfehler vor. Das kann verschiedene Gründe haben — z. B. wenn relevante Faktoren nicht beachtet, Entscheidungen willkürlich getroffen oder die Ermessensgrenzen überschritten werden.
Das Ermessen ist hauptsächlich im Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 40 VwVfG) und in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 114 VwGO) geregelt. Diese Paragrafen geben vor, wie ein Entscheidungsträger sein Ermessen auszuüben hat und wann ein Ermessensfehler vorliegt.
Angenommen, eine Kommunalverwaltung hat einen gewissen Ermessensspielraum, um zu beurteilen, welche Kulturprojekte gefördert werden. Ein Ermessensfehler würde vorliegen, wenn die Verwaltung Projekte systematisch ausschließt, die ihr politisch nicht genehm sind, obwohl sie objektiv die Kriterien erfüllen.
Übrigens: Als Bürgerin oder Bürger hast du das Recht, Klage oder Beschwerde einzulegen, wenn du vermutest, dass eine Behörde einen Ermessensfehler begangen hat. Voraussetzung dafür ist, dass du von der Entscheidung der Behörde betroffen bist. Die Entscheidung muss also Auswirkungen auf deine Rechte oder Interessen haben.
Unterschied Ermessen & gebundene Entscheidung
Das Gegenteil zum Ermessen bildet die gebundene Entscheidung. Dabei hat eine Behörde nämlich keinen Entscheidungsspielraum. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, muss sie eine bestimmte Maßnahme ergreifen. Beispielsweise ist eine Stadtverwaltung laut Verordnung verpflichtet, Baugenehmigungen zu erteilen, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Den Unterschied zwischen Ermessen und einer gebundenen Entscheidung erkennst du anhand ihres Wortlauts in Gesetzestexten und Vorschriften. Beim Ermessen findest du oft Formulierungen wie „kann“, „darf“ oder „ist ermächtigt“, die einen Entscheidungsspielraum signalisieren. Im Gegensatz dazu sind gebundene Entscheidungen durch „muss“, „ist zu“ oder „hat zu erfolgen“ gekennzeichnet.
Zudem gibt es noch eine Mischform — das intendierte Ermessen. Hier gibt ein Gesetz eine bestimmte Ermessensentscheidung vor. Eine Behörde kann aber in Ausnahmefällen und unter Begründung davon abweichen. Intendiertes Ermessen kann sich beispielsweise durch den Wortlaut „soll“ der Norm ergeben.
Arten von Ermessensfehlern
Übt eine Behörde oder Verwaltung ihr Ermessen aus, können dabei drei Arten von Ermessensfehlern auftreten:
-
Ermessensnichtgebrauch:
Eine Behörde nutzt ihren Ermessensspielraum nicht.
-
Ermessensüberschreitung:
Eine Behörde geht über die Grenzen ihres Ermessens hinaus.
-
Ermessensfehlgebrauch:
Eine Behörde nutzt ihren Ermessensspielraum auf eine Art und Weise, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Wichtig: Häufig wird neben den drei Arten noch eine vierte — die Ermessensunterschreitung — genannt. Dabei nutzt eine Behörde ihren Ermessensspielraum nicht in vollem Umfang. Die Ermessensunterschreitung wird aber meist mit dem Ermessensnichtgebrauch (Ermessensausfall) zusammengefasst. Denn beide Fälle beziehen sich auf die unzureichende Ausübung des Ermessens.
Ermessensnichtgebrauch
Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn eine Behörde ihren Ermessensspielraum nutzen könnte und sollte, es aber nicht tut. Sie trifft also eine Entscheidung, als gäbe es keinen Ermessensspielraum, und wendet stattdessen eine starre Regel an. Dabei werden andere Optionen oder die spezifischen Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt.
Ein Beispiel für Ermessensnichtgebrauch wäre die Verkehrsbehörde, die das Ermessen hat, temporäre Verkehrsbeschränkungen zu verhängen. Damit kann sie z. B. auf Baustellen oder extreme Wetterbedingungen reagieren, um Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Wenn die Behörde trotz eindeutiger Hinweise auf die Notwendigkeit von zeitlich begrenzten Verkehrsbeschränkungen keine einführt, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor.
Ermessensreduzierung bei Ermessensnichtgebrauch
Bei einem Ermessensfehler ist auch zu prüfen, ob eine Ermessensreduzierung auf Null (Ermessensreduktion) vorliegt. Die tritt ein, wenn die spezifischen Umstände eines Falles so eindeutig sind, dass nur eine Entscheidung rechtlich vertretbar ist.
Angenommen, jemand beantragt den Bau eines Gebäudes auf einem Grundstück, das in einem streng geschützten Naturreservat liegt. In diesem Fall spricht die Sachlage so eindeutig gegen eine Genehmigung, dass die Behörde rechtlich gesehen keine andere Wahl hat, als die Genehmigung abzulehnen. Hier wäre das Ermessen auf Null reduziert und es liegt kein Ermessensspielraum vor. Der Ermessensnichtgebrauch ist also belanglos, da die richtige Rechtsfolge verhängt wurde.
Ermessensüberschreitung
Die Ermessensüberschreitung ist gegeben, wenn eine Behörde Maßnahmen ergreift, die über den gesetzlich gewährten Ermessensspielraum hinausgehen.
Ein Beispiel dafür ist, wenn eine Kommunalverwaltung ohne rechtliche Grundlage entscheidet, Geschwindigkeitsbegrenzungen deutlich unter die üblichen Werte zu setzen. Obwohl sie über lokale Verkehrsvorschriften entscheiden darf, würde eine übermäßige Reduzierung der Geschwindigkeitsbegrenzung ohne rechtliche Grundlage oder nachgewiesenen Bedarf ihren Ermessensspielraum überschreiten.
Ermessensreduzierung bei Ermessensüberschreitung
Auch bei Ermessensüberschreitungen ist eine Ermessensreduktion auf Null zu berücksichtigen. Denn dann hätte die Behörde keine Ermessensfreiheit gehabt und nur eine Entscheidung wäre rechtmäßig. Bei der Ermessensüberschreitung wäre eine Entscheidung nur dann rechtlich gerechtfertigt, wenn sonst andere Rechte (z. B. Grundrechte) verletzt werden würden.
Angenommen, eine Stadtverwaltung verhängt ein Verbot für Feuerwerke, obwohl sie dafür eigentlich kein Ermessen hat. Ihre Entscheidung beruht aber auf der Tatsache, dass durch eine extreme Trockenperiode das Risiko von Bränden stark erhöht ist. Würde die Stadtverwaltung in einem solchen Fall das Feuerwerk erlauben, könnte dies eine ernsthafte Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen darstellen. Trotz der Ermessensüberschreitung wäre die Entscheidung der Stadtverwaltung also rechtmäßig.
Ermessensfehlgebrauch
Nutzt eine Behörde ihren Handlungsspielraum in einer Art und Weise, die den gesetzlichen Vorgaben oder dem Zweck des Ermessens widerspricht, liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor. Das kann der Fall sein, wenn Entscheidungen aufgrund von persönlichen Vorlieben oder Vorurteilen getroffen werden.
Im Gegensatz zur Ermessensüberschreitung bleibt die Behörde hier in ihrem zugewiesenen Rahmen, lässt jedoch sachfremde Erwägungen einfließen. Dazu zählen zum Beispiel subjektive politische oder wirtschaftliche Interessen.
Beispielsweise vergibt eine Stadtverwaltung nur an bestimmte Unternehmen Baugenehmigungen, weil diese Verbindungen zu einflussreichen Personen haben. Andere qualifizierte Bewerber werden jedoch ohne triftige Gründe abgewiesen. Hier würde die Behörde ihr Ermessen nicht auf Basis sachlicher Kriterien ausüben, sondern aufgrund von Beziehungen oder persönlichen Interessen. Das wäre ein Ermessensfehlgebrauch.
Ermessensreduzierung beim Ermessensfehlgebrauch
Auch bei einem Ermessensfehlgebrauch kann es zu einer Ermessensreduzierung auf Null kommen. Um zu verhindern, dass ein Ermessensfehlgebrauch fälschlicherweise durch eine Ermessensreduktion gerechtfertigt wird, sind die Begründungen hier besonders streng zu prüfen.
Im Zusammenhang mit dem Ermessensfehlgebrauch ist zudem die Selbstbindung der Verwaltung relevant. Selbstbindung bedeutet, dass eine Behörde an ihre eigenen, früheren Entscheidungen gebunden ist. Die Behörde ist dabei in ihrem Ermessen eingeschränkt und muss in zukünftigen ähnlichen Fällen, ebenfalls so entscheiden. Die Selbstbindung der Verwaltung ist jedoch nicht absolut. Die Behörde kann sich von ihrer früheren Verwaltungspraxis lösen, wenn die Entscheidung sonst zu einer Ungleichbehandlung führt.
Zum Beispiel hat eine Gemeinde in der Vergangenheit nur einen Zuschuss an Unternehmen vergeben, die in der Gemeinde ihren Sitz haben. In einem neuen Fall beantragt ein Unternehmen, das nicht in der Gemeinde ansässig ist, ebenfalls einen Zuschuss. Hier würde die Selbstbindung der Verwaltung zu einer Ungleichbehandlung führen, da das Unternehmen, das nicht in der Gemeinde ansässig ist, keinen Zuschuss erhalten würde. Und das obwohl es in allen anderen relevanten Aspekten den Unternehmen entspricht, die einen Zuschuss erhalten hatten.
Die Gemeinde darf nun von ihrer gängigen Verwaltungspraxis abweichen und dem Unternehmen ebenfalls einen Zuschuss gewähren. Ähnlich wie bei der Ermessensreduktion mindert das den eigentlichen Ermessensfehlgebrauch.
Auftreten von Ermessensfehlern
Im öffentlichen Recht ist Ermessen häufig bei Behörden, Verwaltungen oder Ämtern anzutreffen. Sie haben zum Beispiel Ermessensspielraum bei der Erteilung von Genehmigungen oder der Gewährung von Sozialleistungen. Aber auch im Privatrecht kannst du Ermessen in einer ähnlichen Form antreffen. Dann sprichst du aber von Vertragsfreiheit oder Entscheidungsfreiheit. Beispielsweise haben private Unternehmen die Freiheit, selbst zu entscheiden, auf Basis welcher Qualifikationen sie Arbeitnehmer einstellen möchten. Wichtig ist, dass die aber dabei die gesetzlichen Vorgaben beachten, wie z. B. das Gleichbehandlungsgesetz.
Verhältnismäßigkeit
Unabhängig davon, ob ein Ermessensfehler festgestellt wird oder nicht, erfolgt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die befasst sich mit der Frage, ob die Entscheidung einer Behörde gerecht und angemessen ist. Beispielsweise wird dabei überprüft, ob die getroffene Maßnahme geeignet, erforderlich oder angemessen war, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Eine Verwaltungsentscheidung kann dabei trotz eines vorliegenden Ermessensfehlers dennoch verhältnismäßig sein. Zum Beispiel kann eine Stadtverwaltung über die Vergabe einer Baugenehmigung für ein neues Wohngebäude entscheiden. Bei einem Fall genehmigt sie das Bauvorhaben, aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile, die das Projekt bringen würde, und vernachlässigt dabei andere wichtige Aspekte wie die Umweltverträglichkeit.
Trotz dieses Ermessensfehlgebrauchs ist die Entscheidung verhältnismäßig, da sie dringend benötigten Wohnraum schafft. Es gibt keine anderen verfügbaren Grundstücke, die weniger umweltbelastend wären oder besser zur Infrastruktur passen würden. In diesem Fall wäre die Entscheidung geeignet (sie schafft Wohnraum), erforderlich (es gibt keine bessere Alternative) und angemessen (der Nutzen des Wohnraums überwiegt die potenziellen negativen Umweltauswirkungen).
Rechtsfolgen von Ermessensfehlern
Wenn eine Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessensfehler begeht und das Ermessen nicht auf Null reduziert ist, entstehen rechtlichen Konsequenzen:
-
Aufhebung der Entscheidung: Der häufigste Rechtseffekt eines Ermessensfehlers ist, dass die getroffene Entscheidung aufgehoben oder für ungültig erklärt werden kann. Das geschieht in der Regel durch ein Verwaltungsgericht nach einer Klage.
-
Verpflichtung zur Neubescheidung: Oft wird die Behörde verpflichtet, den Fall unter Berücksichtigung des richtigen Ermessensspielraums neu zu entscheiden. Das bedeutet, die Behörde muss die Entscheidung noch einmal überprüfen und dabei alle relevanten Aspekte und gesetzlichen Vorgaben korrekt einbeziehen.
- Schadensersatzansprüche: In einigen Fällen können aus Ermessensfehlern auch Schadensersatzansprüche entstehen, besonders wenn durch den Fehler jemandem ein Schaden entstanden ist.
Ermessensfehler — häufigste Fragen
-
Was ist ein Ermessensfehler?
Ein Ermessensfehler tritt auf, wenn eine Behörde ihren Entscheidungsspielraum nicht korrekt ausübt. Dazu zählt, wenn die Behörde ihr Ermessen nicht nutzt (Ermessensnichtgebrauch), es überschreitet (Ermessensüberschreitung) oder die Entscheidung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht (Ermessensfehlgebrauch).
-
Wann liegt ein Ermessensfehler vor?
Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn eine Behörde bei einer Entscheidung ihren Ermessensspielraum überschreitet, nicht nutzt oder in einer Weise anwendet, die gegen die gesetzlichen Vorgaben verstößt.
-
Kann man Ermessensfehler heilen?
Ermessensfehler können unter bestimmten Umständen geheilt werden. Etwa wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt und die getroffene Entscheidung der einzig rechtlich zulässigen Option entspricht.
Verhältnismäßigkeit
Unabhängig davon, ob ein Ermessensfehler vorliegt, wird die Entscheidung einer Behörde immer auf Verhältnismäßigkeit geprüft. Wenn du mehr dazu wissen möchtest, dann schau dir hier unser Video an!