Radikalische Substitution
In der organischen Chemie gibt es unzählige verschiedene Reaktionsmechanismen. Einer davon ist die sogenannte radikalische Substitution. Den genauen Mechanismus, Ablauf, die Besonderheiten dieser Reaktion und ein paar Beispiele lernst du in diesem Beitrag kennen.
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Inhaltsübersicht
Radikalische Substitution einfach erklärt
Bei der radikalischen Substitution (abgekürzt: ) handelt es sich um einen Reaktionsmechanismus in der organischen Chemie. In dieser wird an einem -substituierten Kohlenstoffatom ein Wasserstoffatom, meist durch ein Sauerstoff- oder Halogenatom, ersetzt. Dabei besteht der Mechanismus immer aus den selben drei Schritten:
- Startreaktion (Bildung eines Radikals)
- Kettenfortpflanzung (Radikalkettenreaktion)
- Kettenabbruch (Rekombination freier Radikale)
Da für den Ablauf dieser Reaktion Radikale notwendig sind, erfolgt sie nur, falls die Bildung von Radikalen möglich ist. Um Radikale zu erzeugen, muss eine kovalente Bindung homolytisch gespalten werden. Somit verbleibt je ein Bindungselektron bei jedem der vorherigen Bindungspartner. Diese Spaltung erfolgt durch Energiezufuhr. Abhängig von den gewählten Elementen oder Verbindungen geschieht dies beispielsweise durch Licht oder Wärme. Dabei können die erzeugten Startradikale entweder selbst an der Kettenfortpflanzung teilnehmen, oder ihre Radikalfunktion an die Reaktionpartner übertragen.
Startreaktion
Diesen Schritt nennt man auch Initiation. Hier findet die homolytische Spaltung des Halogenmoleküls statt und es bilden sich zwei Radikale.
Bei Raumtemperatur lassen sich die Halogene Brom oder Chlor nur spalten, wenn sie, z.B. mit UV-Strahlung, belichtet werden. Iod kann bei diesen Temperaturen gar nicht gespaltet werden. Wohingegen Fluor durch eine homolytische Spaltung einen sehr heftigen und schnellen Reaktionsverlauf verursacht.
Kettenfortpflanzung
Dieser Reaktionsschritt ist auch unter den Namen Folgereaktion, Kettenreaktion oder Prolongation bekannt. Dabei greift zunächst das Halogenradikal den Kohlenwasserstoff an, wobei ein Halogenwasserstoff und ein Alkylradikal entstehen.
Im zweiten Teilschritt der Kettenreaktion greift das erzeugte Alkylradikal ein weiteres Halogenmolekül an und spaltet dieses wiederum homolytisch. Somit bindet das Alkylradikal zum Halogenmolekül eine kovalente Bindung aus und es bildet sich ein Halogenalkan und erneut ein Halogenradikal.
Kettenabbruch
Den letzten Schritt nennt man auch Abbruchreaktion oder Termination, welcher die Kettenreaktion beendet. Zu diesem kommt es immer, wenn zwei Radikale aufeinander treffen. Wobei es drei unterschiedliche Rekombinationsmöglichkeiten gibt. Trifft ein Alkylradikal auf ein Halogenradikal, so entsteht die erwünschte Halogenalkanverbindung.
Aber auch unerwünschte Nebenprodukte können entstehen. So bilden etwa zwei Alkylradikale eine Alkanverbindung und zwei Halogenradikale ein Halogenmolekül.
An sich spielen die Kettenabbruchreaktionen aber nur eine Nebenrolle. Das liegt einerseits daran, dass die Rekombination zweier Radikale energetisch schwierig ist. Andererseits ist deren Konzentration sehr gering, weshalb ein Aufeinandertreffen unwahrscheinlich ist. Daher kommt eine radikalische Substitution häufig zum Ende, wenn mindestens eines der Edukte verbraucht ist.
Reaktivität und Selektivität
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Radikal auf ein Halogenmolekül trifft und mit diesem reagiert, erhöht sich, je länger das Radikal existiert. Aus diesem Grund erhöht sich die Reaktivität des Radikals mit seiner Stabilität, was sich eigentlich nach einem Widerspruch anhört. Genau wie bei den Carbokationen, steigt auch die Stabilität von den Radikalen von primären über sekundären zu tertiären Kohlenstoffradikalen. Auch der mesomere Effekt wirkt sich auf die Stabilität aus.
Darüber hinaus hängt die Reaktivität auch von der Wahrscheinlichkeit der Entstehung des Radikals ab. So ist es bei Verbindungen mit niedriger Dissoziationsenthalpie wahrscheinlicher, dass es zu einer Abspaltung des Wasserstoffatoms kommt.
Für die radikalische Substitution gilt ebenfalls, dass sich mit sinkender Reaktivität die Regioselektivität erhöht. Also je weniger reaktiv die Reaktionsteilnehmer sind, desto eher findet eine bevorzugte Reaktion an bestimmten Stellen eines Moleküls statt.
Radikalische Substitution an Aromaten
Die radikalische Substitution an Aromaten wird auch mit abgekürzt. Bei diesen Verbindungen findet die Reaktion bevorzugt an der Seitenkette statt, da ein Radikal in Benzylstellung besonders stabilisiert ist. Bei Arylradikalen hingegen sitzt das ungepaarte Elektron in einem -Orbital, welches sich senkrecht zum -System des Aromaten befindet. Somit ist dieses nicht mesomeriestabilisiert, weshalb es energetisch äußerst ungünstig liegt.
Um beurteilen zu können, wo eine radikalische Substitution an aromatischen Molekülen stattfinden wird, gibt es zwei einfach Merksätze:
Die SSS-Regel besagt, dass eine Substitutionsreaktion, wie etwa eine Halogenierung an einem alkyl-substituierten Aromaten unter bestimmten Bedingungen, an der Seitenkette stattfindet. Das liegt daran, dass radikalische Substitutionen an aliphatischen Verbindungen bei hohen Temperaturen und Bestrahlung ablaufen, da diese Bedingungen für eine Radikalbildung notwendig sind. Die drei S stehen in diesem Fall für Strahlung, Siedehitze und Seitenkette.
Im Gegensatz dazu gibt es noch die KKK-Regel, welche besagt, dass derartige Reaktionen, unter milden Reaktionsbedingungen und Einsatz eines Katalysators, am aromatischen Kern stattfinden. Sie lässt sich dadurch begründen, dass durch Katalysatoren wie etwa die Elektrophilie einer angreifenden elektrophilen Verbindung weiter gesteigert wird. Daher kommt eine elektrophile aromatische Substitution am Aromaten zustande. Hier stehen die drei K für Kälte, Katalysator und Kern.