Linearisierung
Bei der Linearisierung einer Funktion f wird diese um eine Stelle durch eine affin lineare Funktion g genähert. Das Verfahren zur Auffindung dieser Näherungsfunktion g wird auch als lineare Approximation bezeichnet. Da f lokal um eine Stelle linearisiert wird, spricht man manchmal auch von lokaler Linearisierung bzw. lokaler linearer Approximation.
Inhaltsübersicht
Lineare Approximation und Ableitung
Um eine gute Näherung zu erhalten, muss der Funktionswert von g an der Stelle auf jeden Fall dem Funktionswert von f an dieser Stelle entsprechen. Es muss also gelten:
Geradengleichung
Im Falle eindimensionaler reellwertiger Funktionen, die eine reelle Zahl wieder auf eine reelle Zahl abbilden, ist eine affin lineare Funktion g, die durch den Punkt läuft, von folgender Form:
Der Graph von g ist eine Gerade, die durch den Punkt läuft und die Steigung m besitzt. Wenn wir die Linearisierung eines Funktionsgraphens von f graphisch darstellen, sieht das folgendermaßen aus:
Dabei verläuft f (weiß) an der Stelle durch die Geraden g (blau) mit unterschiedlicher Steigung m.
Für die beste lineare Approximation gilt es nun diejenige Steigung m zu finden, für die der Graph von g um die Stelle möglichst gut zum Graphen von f passt. Mit anderen Worten: Die Graphen von f und g sollten in der Nähe von nicht weit auseinander liegen, d.h. die Differenz zwischen f und g sollte möglichst klein sein.
Restfunktion
Diese Differenz wird in Abhängigkeit von der Stelle x, an der sie betrachtet wird, als Restfunktion
bezeichnet.
Hier siehst du die lineare Approximation des Graphen von f (weiß) um die Stelle durch eine Gerade g (gelb) mit eingezeichneter Restfunktion r (weiß):
Durch Einsetzen der Funktionsgleichung von g ergibt sich:
Da die lineare Approximation vor allem in der Nähe von gut sein soll, wird das Verhalten der Restfunktion r(x) für den Grenzfall betrachtet:
Dieser Grenzwert ergibt allerdings unabhängig von der Steigung m für stetige Funktionen f immer den Wert 0. Für in stetige Funktionen gilt nämlich
und offensichtlich gilt außerdem
.
Auf diese Art lässt sich also nicht untersuchen, für welche Steigung m die affin lineare Funktion g besonders gut die Ausgangsfunktion f nähert.
Zur genaueren Untersuchung eignet sich hingegen der folgende Grenzwert:
Durch Einsetzen der Restfunktion r(x) ergibt sich folgender Ausdruck:
Differenzierbarkeit
Ist die Funktion f an der Stelle differenzierbar, so existiert der Grenzwert , der in diesem Ausdruck auftaucht. Dieser ist gerade der Differentialquotient bzw. die Ableitung von f an der Stelle . Ist also f an der Stelle differenzierbar, so gilt:
Dieser Ausdruck verschwindet genau dann, wenn die Steigung m der Linearisierung g gerade die Ableitung von f an der Stelle ist. Man erhält also zwischen der Linearisierung
und der Differenzierbarkeit folgenden Zusammenhang:
Eine eindimensionale reellwertige Funktion f lässt sich genau dann um die Stelle linearisieren, wenn sie dort differenzierbar ist. Das ist der Fall, wenn es eine Konstante m gibt, sodass gilt:
Häufig zu sehen ist auch eine andere Schreibweise dieser Bedingung, welche man erhält, indem man x durch ersetzt. Dadurch wird aus dem Grenzübergang der Übergang und die gesamte Bedingung lautet:
Ist f in differenzierbar, so ist die Konstante m gerade die Ableitung von f an der Stelle .
Tangentialebene
Wird eine reellwertige Funktion betrachtet, die von zwei Variablen x und y abhängt, so stellt der Graph der Linearisierung g die Tangentialebene an den dreidimensionalen Graphen von f dar. In diesem Fall lautet die Funktionsgleichung von g nämlich:
Diese Gleichung stellt eine typische Ebenengleichung dar.
Durch Betrachtung der Funktionsgleichung der Linearisierung g wird ersichtlich, dass diese stets genau das Taylorpolynom bis zum linearen Glied darstellt.
Linearisierung einer DGL
Linearisierung kann auch im Bereich der Differentialgleichungen
von Nutzen sein. Häufig ist es nämlich möglich eine DGL (Differentialgleichung) zu linearisieren, um die Auffindung ihrer Lösung dadurch zu vereinfachen. Die DGL wird dabei um ihre Ruhelage bzw. den Arbeitspunkt linearisiert.
Ein Beispiel hierfür ist die Linearisierung der Bewegungsgleichung eines Pendels:
Hier kann nämlich für kleine Winkel , also um die Stelle durch die Funktion
genähert werden. Die DGL vereinfacht sich dann zu:
Beispiel – Linearisierung einer Funktion
Die Linearisierung einer Funktion f soll am Beispiel der Wurzelfunktion illustriert werden. Diese soll um die Stelle linear approximiert werden. Dazu wird zunächst die Ableitung bestimmt und anschließend dieser Wert sowie und in die Gleichung
eingesetzt. Die Linearisierung bzw. die Tagentengleichung von f an der Stelle lautet also:
Mit dieser Funktion g(x) wird die Wurzelfunktion um die Stelle also am besten genähert.
Es gilt beispielsweise: und . Die Lineare Approximation der Wurzelfunktion durch die Funktion g(x) ist also auch an der Stelle x=10 noch relativ gut.
Es soll im Folgenden noch die Differenzierbarkeit der Wurzelfunktion an der Stelle mithilfe der Linearisierung g(x) gezeigt werden.
Die Restfunktion r(x) lautet in diesem Beispiel:
Der für die Differenzierbarkeit zu untersuchende Grenzwert lautet demnach:
Durch Erweitern des linken Quotienten um den Faktor vereinfacht sich dieser Ausdruck gemäß:
So wurde also nochmal explizit überprüft, dass die Wurzelfunktion an der Stelle differenzierbar ist und die Ableitung besitzt.