Deutungshypothese
Die Deutungshypothese ist die Leitfrage, der du in deiner Textanalyse folgst. Wie du dabei konkret vorgehst, erfährst du hier im Beitrag und im Video!
Inhaltsübersicht
Was ist eine Deutungshypothese?
Die Deutungshypothese ist eine Vermutung über den Hauptgedanken eines Textes. Du beschreibst darin in wenigen Sätzen die Intention des Autors — also was er mit seinem Text grundsätzlich aussagen will.
➡️ Beispiel:
In einem Gedicht über den Krieg könnte deine Deutungshypothese lauten:
„Das Gedicht drückt den Wunsch nach Freiheit aus und vermittelt Hoffnung auf eine bessere Zukunft trotz des herrschenden Krieges.“
Die Deutungshypothese ist ein fester Bestandteil der Gedichtanalyse und Gedichtinterpretation. Sie begegnet dir aber auch bei der Textanalyse von anderen Textsorten, wie zum Beispiel Kurzgeschichten.
Du formulierst die Deutungshypothese immer am Ende der Einleitung deiner Analyse. Im Hauptteil untersuchst du dann, ob deine Hypothese auch tatsächlich zutrifft. Falls nicht, solltest du sie dort mit den neuen Kenntnissen aus der Analyse berichtigen.
Übrigens: Die Deutungshypothese wird auch Interpretationshypothese genannt.
Deutungshypothese vorbereiten
Für deine Deutungshypothese ist eine gute Vorbereitung wichtig.
Oft hilft es, wenn du das Gedicht Strophe für Strophe durchgehst und zu Sinnabschnitten zusammenfasst. Beschreibt der Autor z. B. über zwei Strophen hinweg die Natur, ist das ein Sinnabschnitt. Bei Prosatexten, also zum Beispiel Kurzgeschichten oder Novellen, kannst du Absatz für Absatz vorgehen. Mach dir dafür neben dem Text oder auf einem extra Blatt kurze Stichpunkte, welche Themen, Motive und Charaktere in den Strophen vorkommen.
Ausgehend von deinen Sinnabschnitten kannst du dann überlegen, welche Hauptaussage der Autor mit seinem Text treffen wollte.
Tipp: Vergiss nicht, am Ende deiner Analyse oder Interpretation die Deutungshypothese zu bewerten. Begründe, ob sie richtig oder falsch war und korrigiere sie, wenn nötig.
Deutungshypothese schreiben — Schritt für Schritt
Wie du eine Interpretationshypothese formulieren kannst, schauen wir uns jetzt einmal am Beispiel von Andreas Gryphius‘ Barockgedicht „Es ist alles eitel“ an:
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden,
was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,
auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.
Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!
Um deine Deutungshypothese zu formulieren, kannst du wie folgt vorgehen:
1. Analysiere den Text
Lies dir den Text aufmerksam durch. Fasse ihn bei Bedarf in Sinnabschnitte zusammen und suche nach Hauptthemen, Motiven und der Stimmung.
In Gryphius‘ Gedicht findest du die Vergänglichkeit als großes Thema. Er schafft mit Motiven wie Zerstörung, der vergänglichen Natur und der unaufhaltsamen Zeit eine düstere Stimmung.
2. Sammle Hintergrundinformationen
In vielen Fällen ist es hilfreich, den Entstehungshintergrund von deinem Text zu kennen. Dazu zählen sowohl die Zeit, in der er entstanden ist, als auch die Biografie des Autors.
Das Gedicht in unserem Beispiel entstand während des Dreißigjährigen Krieges
— einer Zeit geprägt von Not und Zerstörung. Gerade die Zerstörung findest du im Text immer wieder. Das ist ein weiterer guter Punkt für deine Hypothese.
3. Schreibe die Deutungshypothese
Nun hast du alle Informationen, die du brauchst. Formuliere daraus deine Deutungshypothese und schreibe sie mit 1-3 Sätzen im Präsens ans Ende deiner Einleitung.
➡️ Mögliche Deutungshypothese 1
Andreas Gryphius beschreibt das pessimistische Weltbild seiner Zeit. Die Natur, die jetzt noch blüht und lebt, wird durch Zerstörung ein Ende finden. Das Thema seines Gedichts ist die Vergänglichkeit, die er mit dem Begriff „Eitelkeit“ benennt.
➡️ Mögliche Deutungshypothese 2
Das Gedicht zeigt mit seiner düsteren Stimmung, dass Reichtum und Erfolg nicht für immer bleiben. Der Autor will damit aufzeigen, dass es Wichtigeres gibt als weltliche Dinge.
Hier siehst du gute Formulierungshilfen für deine Deutungshypothese:
- Das Gedicht/die Kurzgeschichte/Novelle [Titel] problematisiert das Thema …
- Die Kernproblematik/das Hauptthema des Textes ist …
- Die Geschichte verdeutlicht die Bedeutung von …
- Der Autor/Dichter will damit aufzeigen/kritisieren, dass …
- Das Gedicht thematisiert den Grundkonflikt zwischen … und …
Wie bei Interpretationen generell gibt es auch bei Deutungshypothesen kein Richtig oder Falsch. Du kannst prinzipiell erstmal jede Deutungshypothese aufstellen. Du solltest sie aber im Hauptteil deiner Interpretation gut begründen können.
Deutungshypothese schreiben — Beispiel Kurzgeschichte
Bei einem Prosatext gehst du ganz ähnlich vor. Wenn du zum Beispiel eine Deutungshypothese zur Kurzgeschichte „Spaghetti für zwei“ von Federica de Cesco formulieren sollst, könnte das so aussehen:
➡️ Mögliche Deutungshypothese 1
Mit ihrer Kurzgeschichte zeigt Federica de Cesco, wie schnell Vorurteile zu falschen Annahmen über eine andere Person führen können. Wenn man stattdessen offen miteinander umgeht, können sogar Freundschaften entstehen.
➡️ Mögliche Deutungshypothese 2
Die Geschichte thematisiert, wie leicht Missverständnisse im Alltag entstehen können und zeigt, dass Kommunikation und Nachsicht helfen, solche Konflikte zu überwinden.
Tipp: Hier findest du eine Inhaltsangabe zu der Kurzgeschichte.
Deutungshypothese, Gedichtinterpretation und Gedichtanalyse
Die Begriffe Deutungshypothese, Gedichtinterpretation und Gedichtanalyse treten oft gemeinsam auf. Damit du sie voneinander abgrenzen kannst, haben wir hier die wichtigsten Informationen zusammengestellt:
Deutungshypothese: Eine Deutungshypothese ist die Vermutung darüber, welche Intention, also Absicht, der Autor mit seinem Text verfolgt. Sie kann sich entweder bestätigen oder als falsch herausstellen. Diese Frage beantwortest du im Schluss deiner Analyse bzw. Interpretation.
Gedichtanalyse: In der Gedichtanalyse untersuchst du ein Gedicht auf seinen Inhalt, seine Form und seine Sprache. Merkmale wie das Versmaß, das Reimschema und die Kadenz können zum Beispiel Bestandteile deiner Analyse sein.
Gedichtinterpretation: Bei der Gedichtinterpretation geht es darum, die Ergebnisse deiner Gedichtanalyse zu deuten. Dabei setzt du die einzelnen Bestandteile des Gedichts in einen größeren Zusammenhang und erklärst, was sie bedeuten. Die Deutungshypothese hilft dir dabei. Denn sie gibt dir die Richtung für die Gedichtinterpretation vor.
Deutungshypothese — häufigste Fragen
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Was ist eine Deutungshypothese? Die Deutungshypothese ist eine Vermutung über die Botschaft des Autors eines Textes. Dabei wird der Hauptgedanke des Textes kurz zusammengefasst. Sie gehört in die Einleitung der Textanalyse und Textinterpretation. -
Was ist eine Interpretationshypothese? Die Interpretationshypothese, auch Deutungshypothese genannt, fasst den Hauptgedanken eines Textes — meist eines Gedichts — knapp zusammen. Du formulierst darin also eine Vermutung, welche Absicht der Autor mit seinem Text verfolgt. -
Was ist der Unterschied zwischen Deutungshypothese und Thema? Die Deutungshypothese ist eine Vermutung über die zentrale Aussage eines Textes. Das Thema hingegen ist ein allgemeiner Oberbegriff, mit dem sich der Text befasst. Deshalb ist die Deutungshypothese auch wesentlich länger, während das Thema meist nur ein Begriff ist.
Gedichtanalyse — Beispiel
Eine Deutungshypothese ist ein wichtiger Teil einer Gedichtanalyse. Wie so eine aufgebaut ist, siehst du hier an einem Beispiel!