Phantome, Geister und unheimliche Melodien — was hat es mit der Ballade „Der Knabe im Moor“ auf sich? In diesem Beitrag und im Video lernst du das berühmte Werk kennen. 

Inhaltsübersicht

Der Knabe im Moor — Übersicht

„Der Knabe im Moor“ ist eine Ballade von Annette von Droste-Hülshoff aus dem Jahr 1842 — damit gehört sie in die Epoche des Biedermeier. Es geht darin um einen Jungen, der auf dem Nachhauseweg ein Moor in der Heide durchqueren muss. Die Umgebung erscheint ihm unheimlich und er hat große Angst. 

Schon gewusst?  Die Natur spielt eine zentrale Rolle in der Ballade. Deshalb kannst du sie der Naturlyrik zuordnen.

Der Knabe im Moor — Ballade Text

O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!   Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über der Fläche sauset der Wind –
Was raschelt da drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.   Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor‘,
Die den Haspel dreht im Geröhre!   Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran, als woll‘ es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!   Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär‘ nicht Schutzengel in seiner Näh‘,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.   Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig war’s in der Heide!

Der Knabe im Moor — Zusammenfassung

Der zentrale Schauplatz der Ballade ist die Natur, genauer gesagt, das Moor. Bereits in der ersten Strophe lernst du als Leser, wie „schaurig“ (V. 1) es ist, über das Moor zu gehen. In der zweiten Strophe tritt dann zum ersten Mal der Junge auf. Er trägt sein Schulbuch bei sich und stolpert völlig verängstigt durch die unheimliche Landschaft.

Vor lauter Angst, beginnt der Junge zu rennen. Je weiter er rennt, desto gruseliger erscheint ihm seine Umgebung. In der dritten Strophe meint er, die „unselige Spinnerin“ (V. 22) im Gestrüpp zu hören. Die Spannung steigert sich immer weiter und der Junge wird immer panischer. In seinen eigenen Schritten auf dem unebenen Boden hört er die gespenstische Melodie des Geigenmanns.

Am Höhepunkt des Gedichts meint der Junge schließlich, die „verdammte Margret“ (V. 35) seufzen zu hören. Lediglich ein „Schutzengel“ (V. 38) rettet ihn vor dem sicheren Tod im Moor. 

In der letzten Strophe schließlich erreicht der Junge den Rand des Moors und erkennt neben der Weide die Lampe seines Elternhauses. Er wirft einen „scheuen Blick“ (V. 46) zurück in die Heide und betont noch einmal die schaurige Atmosphäre im Moor. 

Der Knabe im Moor — Aufbau

Die Ballade hat einen regelmäßigen Aufbau und besteht aus sechs Strophen mit je acht Versen. Die erste und letzte Strophe bilden dabei einen Rahmen. Strophe zwei bis fünf hingegen formen einen Spannungsbogen. In jeder der vier mittleren Strophen tritt außerdem eine Geistergestalt auf. 

  • Strophe 2: der gespenstische Gräberknecht raschelt im Moor
  • Strophe 3: die unselige Spinnerin knistert in den Halmen
  • Strophe 4: der diebische Geigenmann pfeift
  • Strophe 5: Im Boden tut sich ein Spalt auf und die verdammte Margret seufzt

Die ersten vier Verse jeder Strophe stehen im Kreuzreim. Das Reimschema lautet also abab und männliche und weibliche Kadenzen wechseln sich ab. Danach folgt ein Paarreim mit dem Reimschema cc und männlicher Kadenz. Der Paarreim betont die Panik des Jungen und unterstreicht dessen Angst. Abschließend gibt es nochmal ein Reimpaar mit dem Schema ab, das die Stimmung der Strophe noch einmal zusammenfasst. 

Das Metrum des Gedichts besteht aus Jamben und Anapästen, die sich abwechseln. Der unruhige Rhythmus spiegelt die Angst des Jungen und die unbeständige Natur wider.

Der Knabe im Moor — Sprache

Die Sprache in der Ballade ist bildhaft. Zu Beginn sieht der Junge die gruseligen Naturphänomene im Moor. Dazu zählen zum Beispiel wimmelnder Heiderauch (V. 2) oder sich drehende Dünste (V. 3).

Im Laufe der Ballade hört er vermehrt Geräusche. Das liegt an der hereinbrechenden Dunkelheit, in der das Sehen schwieriger ist. Zu den akustischen Eindrücken gehören beispielsweise das Zischen und Singen des Bodens (V. 6), der sausende Wind (V. 11), das Rascheln (V. 12), Rieseln (V. 21), Knittern (V. 21) oder Pfeifen (V. 28) des Moors. 

Außerdem findest du in der Ballade viele Stilmittel:

  • Personifikation
    Die Natur und die Tiere werden vermenschlicht. Das erkennst du beispielsweise an der häkelnden Ranke (V. 4), dem sausenden Wind (V. 11) oder dem starrenden Gestrüpp (V. 17). So wirkt die Natur noch unheimlicher und bedrohlicher.
     
  • Anapher
    In der Ballade gibt es auch sich wiederholende Satzanfänge , zum Beispiel „Das ist die …“ in Strophe 3, sowie „Das ist der …“ in Strophe 4. Die Wiederholungen zeigen die Panik des Jungen.
      
  • Inversion
    Du findest auch veränderte Satzstellungen, beispielsweise in Vers 18: „Unheimlich nicket die Föhre“. Durch die Umstellung der Satzstruktur wird das Wort „unheimlich“ hervorgehoben und betont. 

Der Knabe im Moor — Interpretation

Für die Ballade aus dem Biedermeier gibt es mehrere Interpretationsansätze:

  • Weg durchs Moor als Mutprobe.
    Das Moor in der Geschichte scheint bedrohlich, doch es wirkt auch abenteuerlich. Empfindet der Junge nur Angst? Oder wagt er sich in einer Mutprobe hinaus aufs Moor und verspürt Abenteuerlust?
     
  • Echte Bedrohung oder Einbildung?
    Erscheinen dem Jungen im Moor wirklich Spukgestalten? Inwiefern hängen die Gruselgestalten mit der Angst des Jungen zusammen? 
     
  • Aberglaube
    Der Junge gruselt sich im Moor, denn er weiß, dass es dort spuken soll. Dem Aberglauben zufolge ist das Moor die Heimat von unerlösten Seelen. Auf der anderen Seite gibt es in der Ballade aber auch Begriffe, die Sicherheit und Schutz bedeuten. Dazu gehören zum Beispiel der Schutzengel oder die Lampe.

Gedichtanalyse Beispiel

Jetzt kennst du dich mit „Der Knabe im Moor“ aus. Wenn du noch auf der Suche nach einem ausführlichen Beispiel und hilfreichen Formulierungen für eine vollständige Gedichtanalyse bist, haben wir hier das passende Video für dich. 

Zum Video: Gedichtanalyse Beispiel
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