Parabel Interpretation – Beispiel
Wie kannst du Parabeln interpretieren? In diesem Beitrag und im Video zeigen wir dir ein Beispiel für eine Parabel Interpretation.
Inhaltsübersicht
Parabel Interpretation Beispiel — Vorgehen
Eine Parabel ist eine lehrhafte Erzählung, die du auf das echte Leben übertragen kannst. Um sie zu verstehen, schaust du dir die zwei Ebenen der Handlung genauer an. Die Bildebene beschreibt, was in der Geschichte passiert. Die Sachebene hingegen sagt dir, was damit wirklich gemeint ist. Das Merkmal, in dem sich die beiden Ebenen überschneiden, nennst du Tertium comparationis.
Diese Schnittstelle hilft dir, in deiner Interpretation auf die Lehre der Parabel zu schließen. Dabei hilft dir auch eine Deutungshypothese. Das ist eine Behauptung über die Parabel, die du im Laufe deiner Interpretation begründest.
Parabel Interpretation Beispiel — Aufgabenstellung
Für die Interpretation schauen wir uns Franz Kafkas „Der Geier“ an und zeigen dir eine Musterlösung. Lies dir zunächst die Parabel durch:
Franz Kafka
Der Geier (1920)
Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. „Ich bin ja wehrlos“, sagte ich, „er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.“ „Daß Sie sich so quälen lassen“, sagte der Herr, „ein Schuß und der Geier ist erledigt.“ „Ist das so?“, fragte ich, „und wollen Sie das besorgen?“ „Gern“, sagte der Herr, „ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?“ „Das weiß ich nicht“, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: „Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.“ „Gut“, sagte der Herr, „ich werde mich beeilen.“ Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.
Die Aufgabenstellung könnte zum Beispiel so aussehen:
Interpretiere die Parabel „Der Geier“ von Franz Kafka und gehe dabei auf die Bild- und Sachebene ein. Beschreibe dabei, inwiefern der Angriff des Geiers ein Ausdruck des inneren Leidens des Erzählers ist.
Die Gliederung zu deiner Interpretation kann zum Beispiel so aussehen:
- Einleitung: wichtigste Informationen zu Kafkas „Der Geier“
-
Hauptteil: Interpretation
2.1 Bildebene: Angriff des Geiers
2.2 Sachebene: Innere Zerrissenheit des Erzählers - Schluss: „Der Geier“ als kafkaeske Bedrohung
Parabel Interpretation Beispiel — Einleitung
Im Einleitungssatz deiner Interpretation nennst du kurz die wichtigsten Fakten:
- Titel
- Autor
- Erscheinungsjahr
- Thema
- Deutungshypothese
Parabel Interpretation Einleitung – Beispiel
Die Parabel „Der Geier“ von Franz Kafka wurde 1920 veröffentlicht. Darin geht es um einen Erzähler, dem ein Geier die Füße zerhackt und der ihn später in einem Blutbad tötet und dabei selbst verendet. Die Geschichte lässt auf den inneren Zustand des Erzählers schließen, dessen ununterbrochene Qualen durch den Angriff des Todesvogels symbolisiert werden.
Bildebene
Hier beschreibst du, was in der Geschichte passiert und fasst sie zusammen. Dabei hilft es auch, die Erzählung in Sinnabschnitte zu gliedern. Das könnte zum Beispiel so aussehen:
Die Parabel „Der Geier“ von Franz Kafka lässt sich in drei Sinnabschnitte gliedern. Im ersten Teil beschreibt der Ich-Erzähler einen Geier, der auf seinen Füßen herumhackt.
Im zweiten Sinnabschnitt begegnet der Erzähler einem Mann, der — anstatt ihm zu helfen — die Situation erst „ein Weilchen“ beobachtet. Das anschließende Gespräch mit dem Mann nimmt den größten Teil der Parabel ein. Auf die Frage, warum der Erzähler sich nicht wehren würde, gibt dieser zur Antwort, er sei „wehrlos“. Der Mann bietet ihm letztendlich an, ein Gewehr zu besorgen, da sich der Geier bestimmt mit einem Schuss töten lasse.
Der letzte Teil der Parabel ist der Höhepunkt und gleichzeitig die Katastrophe. Denn der Geier scheint das Gespräch verstanden zu haben und rammt dem Erzähler den Schnabel in den Hals. Der Erzähler fällt zurück, aber fühlt sich „befreit“, weil der Geier in seinem Blut ertrinkt und somit beide sterben.
Sachebene
Im Anschluss an die Bildebene machst du dir Gedanken, wie du die Geschichte auf das echte Leben, also die Sachebene, übertragen könntest. Du bezeichnest die Sachebene deshalb auch als Gedankenebene.
Manchmal geben Parabeln dir schon vor, was mit der Handlung gemeint ist. In unserer Kafka Parabel aber wird die Sachebene nicht aufgelöst. Du als Leser bist deshalb aufgefordert, deine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Anders als in den meisten Parabeln gibt es in dieser Parabel von Kafka keine Sachebene. Das bedeutet, aus der Handlung ergibt sich nicht, was damit wirklich gemeint ist. Der Geier symbolisiert in der Geschichte eine unheimliche Bedrohung, die sich nicht fassen lässt. Der Erzähler fühlt sich machtlos und sieht tatenlos zu, wie der Geier ihm die Füße zerhackt. Für ihn ist das das kleinere Übel. Denn um den Geier davon abzuhalten, ihm das Gesicht zu zerhacken, „opferte [er] lieber die Füße“.
Der Geier steht in der Geschichte für eine unbekannte Macht, die den Erzähler pausenlos belastet und gegen die er sich nicht wehren kann. Geier sind außerdem Aasfresser, sie ernähren sich also von Tierkadavern. Deshalb symbolisieren Geier selbst auch den Tod.
Übertragen auf den Erzähler stellt sein Kampf mit dem Geier auch eine innere Belastung dar, die auf der Bildebene nach außen gekehrt wird. Dem Erzähler bleibt scheinbar nichts anderes übrig, als sein Schicksal anzunehmen. Für den Geier als persönlicher, innerer Kampf des Erzählers mit sich selbst spricht auch das Gespräch mit dem Mann.
Denn dieser sieht nur zu und fragt den Erzähler sogar, warum er diese Qualen über sich ergehen lasse. Handelt es sich bei dem Geier also um etwas, dass den Erzähler im Inneren belastet, kann der Außenstehende nicht helfen. Nur der Erzähler selbst kann etwas gegen den Geier unternehmen.
Das Ende der Parabel bestätigt diese Annahme ebenfalls. Denn obwohl der Geier dem Erzähler den tödlichen Hieb versetzt, ertrinkt auch das Tier selbst im Blut. Beide können also nicht ohne den anderen überleben und sterben deshalb gemeinsam.
Welche dunkle Macht der Geier tatsächlich darstellt, bleibt unklar. Die fehlende Sachebene hinterlässt keine Auflösung und durch den Tod des Erzählers bleibt eine bedrohliche Stimmung zurück. Eine solche unheimlich bedrohliche Situation bezeichnest du als kafkaesk. Der Geier selbst stellt also eine kafkaeske Bedrohung dar.
Parabel Interpretation Beispiel — Schluss
Im Schluss fasst du die wichtigsten Erkenntnisse deiner Interpretation zusammen.
Parabel Interpretation Schluss — Beispiel:
Die Parabel „Der Geier“ beschreibt eine mysteriöse Bedrohung, die den Ich-Erzähler befällt. Die unheimliche Macht zehrt buchstäblich am Erzähler, denn der Geier zerfleischt ihm die Füße. Weil sich die Situation nicht auflöst, bleibt eine bedrohliche Stimmung zurück. Der Geier stellt also eine kafkaeske Bedrohung dar, die den Erzähler letztlich tötet.
Parabel Interpretation – Formulierungshilfen
Im Folgenden zeigen wir dir noch ein paar gute Formulierungshilfen, mit denen du deine Interpretation von Kafkas „Der Geier“ abwechslungsreich gestalten kannst.
Einleitung
- Die Parabel stammt aus dem Jahr 1920 und handelt von … / dreht sich um ….
- In der Parabel wird … thematisiert …
- Franz Kafkas Parabel „Der Geier“ aus dem Jahr 1920 beschreibt …
Interpretation
- Die Parabel lässt sich in … Sinnabschnitte aufteilen.
- Im ersten Abschnitt wird … thematisiert.
- Im darauffolgenden zweiten Abschnitt erfährt der Leser, dass …
- Der dritte Abschnitt handelt von …
- Es gibt einen Ich-Erzähler / auktorialen Erzähler / personalen Erzähler / neutralen Erzähler …
- Der Geier symbolisiert / stellt dar / beschreibt …
- Das Ende der Parabel lässt darauf schließen, dass …
Schluss
- Abschließend lässt sich sagen …
- Zusammengefasst …
- Das offene Ende bewirkt …
Kafkaesk
Jetzt kannst du Kafka Parabeln erfolgreich interpretieren. Vom Begriff „kafkaesk“ hast du ja bereits gehört. Was es damit auf sich hat, erfährst du hier.